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Die WM 2014 war der Durchbruch für eine neue Generation von Torhütern. Im Gegensatz zur Old-School“ war der Strafraum nicht der Bereich, den sie nie verlassen sollten. Ganz im Gegenteil. Ihr Stil war geprägt von einer offensiven und antizipierenden Spielweise. Durch eine geschickte Positionierung sollten sie Bälle in die Tiefe des Raumes bereits mit dem Fuß abfangen, bevor sie zu einer wirklichen Torgefahr wurden. Der Prototyp dieser neuen Torwartgeneration hieß Manuel Neuer, der das Torwartspiel mit seiner offensiven Interpretation revolutionierte. „Manuel, der Libero“ war eine häufig benutzte Formel, die die neue Aufgabe des Torhüters anschaulich beschrieb. Unvergessen ist das Spiel gegen Algerien, in dem Manuel Neuer serienweise gegnerische Angriffe schon rechtzeitig durch eine offensive Spielweise und gute Antizipation entschärfte. 19 Ballaktionen außerhalb des Strafraums zählten die Statistiker anschließend.

Seither Neuers großartigen Leistungen bei der WM 2014 sind fußballerische Fähigkeiten sowie die Raumverteidigung bei Torhütern immer stärker in den Fokus gerückt. Heutzutage gelten sie als Grundfertigkeiten für jeden Torhüter, sowohl im Profi- als auch zumindest im höheren Amateurbereich. Jüngere Torhüter wie Marc-Andre ter Stegen oder David de Gea haben diese Qualitäten mit dem Fuß in enormem Maße entwickelt und sind mit ihren Fähigkeiten stark ins Aufbauspiel ihrer Mannschaft mit eingebunden.

Seit einiger Zeit schickt sich mit dem U21-Europameister Julian Pollersbeck vom Hamburger SV ein junger Torhüter an, seine Rolle als Torhüter noch extremer zu interpretieren als jeder Bundesliga-Torhüter vor ihm. Er ist beim Aufbauspiel Teil der Dreierkette geworden. Mit dieser außergewöhnlichen Spielweise hat er bereits international Aufsehen erregt. Steven Fraser, Scout und Torwart-Trainer beim FC Arsenal, war jedenfalls beeindruckt und lobte Pollersbeck bei Twitter: „Sehr interessantes Positionierungsspiel von Hamburgs Torhüter Julian Pollersbeck dieses Wochenende. Ich liebe es!"

Der Torhüter als wichtiger Aufbauspieler

Bei vielen Mannschaften in der Bundesliga sind inzwischen dazu übergegangen, dass sich der sogenannte Sechser als Mittelfeldspieler zwischen Innenverteidiger fallen lässt und von dort das Spiel aus einer Dreierkette eröffnet. Pollersbeck wählt aber einen anderen Weg. Nicht der Mittelfeldspieler, sondern er als Torhüter komplettiert die Dreierkette. Der 23-jährige Schlussmann ist also maßgebend am Spielaufbau seiner Mannschaft beteiligt. Pollerbecks Leistungsnachweis war im Spiel gegen Hertha BSC jedenfalls beeindruckend. 83 Ballaktionen hatte der HSV-Keeper aufzuweisen, davon allein 36 außerhalb des Strafraums. In den viel beachteten WM-Spiels Neuers gegen Algerien standen bei diesem gerade mal 19 Ballaktionen außerhalb des Strafraumes zu Buche. Am Ende hatte Pollersbeck die viertmeisten Ballaktionen aller Spieler auf dem Platz.

Wie agiert Pollersbeck bei Ballbesitz?

Die Überlegungen von Hamburgs Trainer Christian Titz sind offensichtlich. Da die Hamburger Offensive bisher wenig Treffer erzielte, versuchte er mit Pollersbeck als elftem Feldspieler durch viel eigenen Ballbesitz eine nummerische Überlegenheit zu schaffen und somit besser Chancen herauszuarbeiten. Und so funktioniert das System: Sobald der Ball erobert und der Gegner nicht presst, rückt Pollersbeck ca. 25-30 m vor seinem Tor ins Zentrum der Dreierkette, während sich die Innenverteidiger in etwa auf gleicher Höhe nach außen absetzen und nun quasi Außenverteidiger spielen. Der Hamburger Schlussmann nimmt also die zentrale Position in der neu aufgebauten Dreierkette ein.

Was sind die Vorteile dieser offensiven Positionierung?

Durch diese offensive Positionierung vor seinem Tor kann seine Mannschaft möglichst viele Spieler weit nach vorne bringen, die so schnell das gegnerische Tor erreichen können. Außerdem hat der HSV-Keeper vom Zentrum aus einen ausgezeichneten Blick auf das Spiel und kann, meist unbedrängt, den weiteren Spielaufbau einleiten. Zusätzlich ist er mit seinen großen fußballerischen Fähigkeiten in der Lage, aus dieser Position heraus jederzeit mit einem einzigen Schlag vor das gegnerische Tor seine Angreifer zielgenau einzusetzen und so für Torgefahr sorgen. Bietet sich hingegen der lange Ball auf die Angreifer nicht an, kontrolliert er mit seiner Mannschaft durch die zahlenmäßige Überlegenheit den Ball in den eigenen Reihen, bis sich eine bessere Gelegenheit für einen schnellen Angriff ergibt.

Die Schwachpunkte dieser Spielweise

Sicherlich spielte der Überraschungseffekt beim ersten Spiel in Berlin für den Erfolg eine gewisse Rolle, denn die Berliner wussten eine Halbzeit lang nicht, wie sie auf Pollerbecks Spiel reagieren sollten. In der ersten Halbzeit ließen sie ihn ziemlich ungestört die Bälle nach links oder rechts verteilen. Erst in der zweiten Halbzeit fanden die Hertha-Angreifer ein geeignetes Gegenmittel gegen Pollersbecks Spielweise. Die Lösung war ein aggressiveres Anlaufen der vom HSV-Keeper angespielten Mitspieler.

Anspiel auf Innenverteidiger

Wenn Pollersbeck wegen fehlender Anspielstationen im Mittelfeld den Ball auf die weit außen positionierten Innenverteidiger spielte, mussten diese bei Gegnerdruck den Ball mit dem Rücken zum Gegner annehmen, was für sie eine unangenehme und schwierig zu überblickende Situation bedeutete. Denn bei Gegnerdruck konnten sie den Ball nur unkontrolliert nach vorne schlagen oder einen Rückpass auf ihren Torhüter spielen, der sich allerdings durch seine offensive Spielweise nicht immer rechtzeitig nach hinten als Anspielstation absetzen konnte. So kam es einige Male zu brenzligen Situationen.

Anspiel auf Mittelfeldspieler

Noch problematischer für die HSV-Abwehr war es, wenn Pollersbeck versuchte, über den zentralen Mittelfeldspieler aufzubauen. Ballverluste im Zentrum waren nämlich extrem gefährlich, weil die Innenverteidiger weit außen positioniert waren und somit vom Gegner schnell ins Zentrum gespielte Bälle kaum verteidigt werden konnten.

Anspiel auf Stürmer

Auch Pollersbecks lange Bälle auf die Hamburger Angreifer hatten ihre Tücken. Wenn Pollersbeck teils bis in die Nähe des Mittelkreises aufgerückt war, hatte sich der Gegner weit in die eigene zurückgezogen. Durch die dichte Staffelung blieb den schnellen Hamburger Stürmern meist wenig Raum, um ins Tempo zu kommen. Oftmals wurden diese Bälle aber bereits vom Gegner gleich abgefangen.

Fazit

Die offensive Positionierung Pollerbecks hat letztlich nicht dazu beigetragen, dem HSV die Bundesliga zu erhalten. Interessant für die weitere Entwicklung des Torwartspiels ist seine Variante aber allemal. Natürlich beinhaltet sie eine gewisse Gefahr bei Fernschüssen, wenn der Gegner bei einem Ballverlust den Ball erobert und schnell auf das unbesetzte Tor abschließt. Andererseits sorgt sie beim Spielaufbau für eine nummerische Überlegenheit. Letztlich muss der Trainer die Risiken gegen den Nutzen dieser Spielweise abwägen. Die meisten Erstliga-Torhüter sind inzwischen fußballerisch so gut ausgebildet, dass sie die Anforderungen dieser Spielweise bewältigen würden.

Analyse 1. BundesligaJulian PollersbeckHamburger SV

Artur Stopper

Artur Stopper

Mit über 25 Jahren Erfahrung als Torwarttrainer weiß Artur, wie Torhüter ticken. Deshalb bevorzugt er Themen, die die Welt der Torhüter ausmachen: Vereinswechsel, Tiefschläge, Pechsträhnen, Höhenflüge, Emotionen, Ersatzbank, Halbgötter, Erfolge.

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